Das gestrige Gedicht stammt, wie vermerkt, aus dem Literaturalmanach "Tintenfisch" von 1975. Der Tintenfisch wurde 1968 zum ersten Mal veröffentlicht und bot einen Überblick über die Literatur aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und enthielt die Aufstellung der in diesem Zeitraum erschienenen Werke der deutschen Literatur. Herausgegeben wurde er vom Verleger Klaus Wagenbach und dem damaligen Lektor und späteren Leiter des Hanser Verlags, Michael Krüger, heute Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Beide waren damals jung, W. 37 und K. 24 Jahre alt. Nicht überall wurde der Almanach begeistert aufgenommen: Der Springer Verlag warf ihm vor, 10 Autoren nicht berücksichtigt zu haben. Wagenbachs Antwort: Zwei von ihnen hätten 1967 nichts veröffentlicht, die restlichen acht seien Sachbuchautoren. Die DDR gab sich auch wenig amüsiert, weil im Tintenfisch auch staatskritische Texte veröffentlicht wurden.
Montag, 18. März 2024
Drei Jahre 354 T C, 2 Jahre 23 T Krieg in der Ukraine, 133 T Krieg in Gaza/Israel und: Der Tintenfisch
Sonntag, 17. März 2024
Drei Jahre 353 T C, 2 Jahre 22 T Krieg in der Ukraine, 132 T Krieg in Gaza/Israel und: Ein Gedicht
Zur Zeit viele Gedichte aus den 70er Jahren gelesen, darunter dieses, vom geschätzten, zu früh verstorbenen Jörg Fauser: Sehr nachdenklich geworden. 70er Jahre.
Trotzki, Goethe und das Glück
(aus: Klaus Wagenbach und Michael Krüger, hg.: Tintenfisch. Jahrbuch für Literatur 8, Wagenbach-Verlag, Berlin 1975, s.u.)
Kaum war ich von der Spritze runter,
tappte ich in die nächste Falle:
die Revolution.
Die Revolution hieß Louise,
hatte unglaublich schmale Hüften,
blitzende Augen, flatterndes schwarzes
Haar, kam aus Paris
und war Trotzkistin.
Wir wohnten zusammen in einem
der besetzten Häuser, hielten uns
glänzend in Schuß, hielten es sogar
für Liebe, und ich palaverte,
wenn Palaver gefragt war,
schwenkte Fahnen, wenn Fahnen
gefragt waren, und frühstückte
entgegen allen Lehren
des Großen Vorsitzenden
mit einer Flasche Wermut
und einem netten dekadenten Gefühl
im Bett.
Das ist Glück, dachte ich.
Das ist Glück, sagte ich zu Louise.
Warum lassen wir die Revolution nicht sausen,
das sinnlose Palaver und die Fahnen
und die endlosen Auseinandersetzungen
um die Maschinenfabrik in Shanghai,
suchen uns irgendeinen stillen Winkel
wo ich in Ruhe mein Bier trinken und
zwischendurch mal’n Gedicht schreiben kann,
et du reste l’amour?
Und Trotzki? schrie Louise,
und die Genossen im Knast?
Dein bourgeoises Glück, pah! Bier
und Gedichte, während die Revolution
organisiert wird.
Von da ab ging alles schief. Als ich
im Suff mal mit einer anderen ankam,
ging Louise mit einem Messer
auf mich los. Dann mischte sie
bei einer Frauenbewegung mit und ich
mußte nehmen, was kam:
meistens nur Bier und manchmal irgendeine
neurotische Studentin, und später selbst das
nicht mehr, und dann
schmissen sie mich raus,
und ich zog woanders hin.
Das alles ist etliche Jahre her, aber neulich
traf ich ein Mädchen, das noch in den Kreisen
verkehrt, und fragte sie nach Louise.
Louise, sagte das Mädchen —
die ist wieder in Paris.
Sitzt sie im Zentralkomitee? fragte ich.
I wo, sagte das Mädchen, die hat irgendson
Goetheforscher geheiratet.
An dem Abend trank ich alles durcheinander,
trank wie lebensmüde, aber als ich gestern
an dem Haus vorbeikam — es sieht
inzwischen ziemlich verkommen aus,
absolut deja vu —
dachte ich, naja,
vielleicht hast du doch Glück gehabt.
Samstag, 16. März 2024
Drei Jahre 352 T C, 2 Jahre 21 T Krieg in der Ukraine, 131 T Krieg in Gaza/Israel und: Antisemitismus in Österreich
Das Nachbarland weist in diesem Punkt eine gute Tradition auf. Sich in weiten Teilen der Bevölkerung immer noch als Opfer begreifend, obwohl 1938 Hunterttaiusende über den Anschluss gejubelt hatten, wurde nie wirklich die Rolle der "Ostmark" bzw. der "Alpen-und Donau-Reichsgaue" aufgearbeitet, weit entfernt von den halbscharigen halbherzigen Bemühungen der BRD. "Ich bin dagegen, dass man immer wieder die Tatsache aufwärmt, dass im
Zweiten Weltkrieg Juden umgekommen sind" denkt ein Drittel der Bevölkerung. 40 Prozent der arabisch- und türkischstämmigen Bevölkerung sind der Meinung, dass in den Berichten über
Konzentrationslager und Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg "vieles
übertrieben dargestellt" werde.
2023 sagte der Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP): "(Antisemitismus) ist kein Phänomen der politischen Randgruppen, er kommt aus der Mitte der Gesellschaft". Mehr als ein Drittel der Menschen in Österreich sind der Meinung, Juden versuchten heute Vorteile daraus zu ziehen, Opfer während der Nazi-Zeit gewesen zu sein. Österreichweit und bei den unter 25-Jährigen sieht jeweils ein Fünftel es so, dass die Juden selbst schuld an den Verfolgungen seien.
(Quelle ist ein Bericht des Standard aus dem Jahr 2023).
Bereits 1965 starb bei einer Demonstration eines „Antifaschistischen Studentenkomitees“ gegen einen nationalsozialistisch eingestellten Universitätsprofessor, Taras Borodajkewycz, Ernst Kirchweger durch einen Boxhieb.
Auch eigene Erfahrungen bestätigen diese Einstellung des nachbarlichen Bergvolks österreichischer Landsleute. Die zieht sich, bis heute, ungebrochen durch die Jahrzehnte.
Freitag, 15. März 2024
Drei Jahre 351 T C, 2 Jahre 20 T Krieg in der Ukraine, 130 T Krieg in Gaza/Israel und: Jahrestag der Deportation Münchner Sinti und Roma
Vor zwei Tagen, am 13. März 2024, wurde der Massendeportation von Münchner Sinti*zze und Rom*nja gedacht.
Mittwoch, 13. März 2024
Drei Jahre 349 T C, 2 Jahre 18 T Krieg in der Ukraine, 128 T Krieg in Gaza/Israel und: Poverty In The UK
Da war einmal und ist immer noch der Brexit.
Die Joseph Rowntree Foundation ist eine Wohltätigkeitsorganisation, die u. a. Forschung zur Lösung der Armut in Großbritannien durchführt und finanziert. Das Ziel von JRF ist es, „Aktionen und Veränderungen anzuregen, die ein wohlhabendes Großbritannien ohne Armut schaffen werden“ (zit. aus der englischen Wikipedia).
Dieses Jahr ist Wahljahr in Großbritannien und die Armut dort ist so groß wie noch nie, "entsetzlich hoch für manche Bevölkerungsgruppen" (alle Zitate aus der Studie zur Armut). 22% = 8,1 Millionen der arbeitenden Bevölkerung leben in Armut, 30% = 4,2 Millionen Kinder und mehr als 15% = 2,1 Millionen der nicht mehr Arbeitenden.
Die Kinder trifft es am stärksten.
Bild: University College London Bild: Guardian
Vor 1979 war die allgemeine Armutsrate bei 14% der Bevölkerung, stieg unter Thatcher an, fiel zu Beginn der Labourregierungen und stieg an deren Ende wieder.
"... meaning current levels of poverty are around 50% higher than they were in the 1970s. are around 50% higher than they were in the 1970s: Das heißt, dass das Ausmaß der Armut etwa 50% höher ist als in den 70ern."
6 Millionen Menschen = 40% der Armen leben in großer Armut.
"This is equivalent to a couple with 2 children under 14 years old needing, on average:
- an additional £6,200 per year to reach the poverty line if they are living in poverty
- an additional £12,800 per year to reach the poverty line if they are living in very deep poverty
Ein Paar mit zwei Kindern unter 14 Jahren in großer Armut lebend, bräuchte zusätzlich £6,200 im Jahr um die 'normale' Armutsgrenze zu erreichen, ein Paar mit zwei Kindern unter 14 Jahren, das in tiefer Armut lebt, benötigte £12,800 jährlich, um dieselbe Grenze zu erreichen."
"Child poverty rates in Scotland (24%) remain much lower than those in England (31%) and Wales (28%) and are similar (if slightly higher) than in Northern Ireland (22%). This is likely to be due, at least in part, to the Scottish Child Payment. This highlights the effect benefits can have in reducing poverty.
Die Armutsrate in Schottland ist mit 24% wesentlich niedriger als in England und Wales (31 bzw. 28%). Das mag am höheren Kindergeld in Schottland liegen und zeigt, dass Zuwendungen die Armut abbauen können."
Dienstag, 12. März 2024
Drei Jahre 348 T C, 2 Jahre 17 T Krieg in der Ukraine, 127 T Krieg in Gaza/Israel und: 12 von 12
An jedem 12. eines Monats pflegt Frau Caro aufzurufen, 12 Bilder zu veröffentlichen. Gerne!
Montag, 11. März 2024
Drei Jahre 347 T C, 2 Jahre 16 T Krieg in der Ukraine, 126 T Krieg in Gaza/Israel und: Fahrt nach Neuhausen
Was wird wohl mit "unserem" Kaufhof am Rotkreuzplatz geschehen? Das Kaufhaus ist voll von Kund:innen, wann immer man auch hinkommt. 20% des Umsatzes (!) beträgt die Miete = Benko an Benko. Wunderbare Lebensmittelabteilung mit Frischtheken. Das Personal ist sehr kompetent und freundlich. Die Menschen können einem leid tun ob ihrer Zukunft. Nichtsdestotrotz werben sie mit offenen Stellen und Ausbildungsplätzen.